Kleine Tugendlehre Teil 4
Frömmigkeit
Denn es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen und nimmt uns in Zucht, dass wir absagen dem ungöttlichen Wesen und den weltlichen Begierden und besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt leben.
Titus 2, 11-12
So wendet alle Mühe daran und erweist in eurem Glauben Tugend und in der Tugend Erkenntnis und in der Erkenntnis Mäßigkeit und in der Mäßigkeit Geduld und in der Geduld Frömmigkeit und in der Frömmigkeit brüderliche Liebe und in der brüderlichen Liebe die Liebe zu allen Menschen.
2. Petrus 1, 5-7
Frömmigkeit – das ist eins der Wörter, zu denen viele ein gebrochenes Verhältnis haben. Mir geht es jedenfalls so. Und zwar aus mehreren Gründen. Zunächst einmal empfinde ist dieses Wort als seltsam antiquiert – bis hin zu unverständlich. Und das stimmt auch, denn der ursprüngliche Sinn des altdeutschen Wortes – „tüchtig, nützlich“ – hat sich seit ein paar hundert Jahren verändert. Und so erscheint an vielen Stellen, wo Martin Luther noch das Wort „fromm“ verwendet hat, eine neue, verständlichere Übersetzung. Und dennoch findet sich diese Wortwurzel nach wie vor an vielen Stellen in der Bibel, und nicht zuletzt im täglichen Wortschatz. Und da ist es leider auch etwas zweideutig. Bei dem Eigenschaftswort „fromm“ fällt mir unweigerlich das negativ besetzte Wort „frömmelnd“ ein. Und wer will schon „brav und fromm“ sein? Ist es nicht viel spannender, „wild und waghalsig“ zu leben?
In unserem kleinen Tugendkatalog jedoch erscheint das Wort „Frömmigkeit“. Wenn wir nicht einfach darüber hinweg lesen wollen, stellt sich die Frage: Was heißt das eigentlich – Frömmigkeit? Und was heißt es, „fromm“ zu sein? Was meint die Bibel mit diesen Worten und was können sie heute für uns bedeuten? …